Miroirs No. 3: Im eigenen Haus mit dir in mir
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16. September 2025. Christian Petzolds neuster Film kommt am 18. September in die Kinos. Er schrieb auch das Drehbuch und herausgekommen ist ein genial- surrealistisches Meisterwerk.
Ein unerklärlicher Film? Natürlich ist Christian Petzolds neuster Film MIROIRS NO. 3 erklärbar. Man sollte ein Kunstwerk, genau wie Musik, vielleicht einfach genießen.
Jedes Detail in Petzolds Film hat einen Sinn: Jedes Geräusch, jede Geste, jeder gesprochene Satz erklärt die Sinnhaftigkeit dieser surrealen Begegnung mit dem Selbst.
MIROIRS NO. , der Titel des Films, beruht auf einer Klaviersuite des Impressionisten Maurice Ravel.
Die Landschaft der Uckermark und das Haus, in dem Betty (Barbara Auer) nach dem Selbstmord ihrer Tochter Yelena allein weiterlebt, sind Elemente eines Bildnisses der Einsamkeit und Stille. Die Ordnung der Seele, wie Bettys verwahrloster Garten, der durch die Gesetze der Natur verwildert und dann zur Neustrukturierung und Wiederbelebung findet, sind nur Metaphern. Das Haus, selbst Protagonist des Films, repräsentiert Bettys Innerstes, umgeben von dem wild verwachsenen Garten. Mit Laura (Paula Beer) gewinnt sie einen Teil davon zurück.
Das Vorbeirauschen der Autos auf einer belebten Schnellstraße zu Beginn des Films, während die Hauptdarstellerin Laura in Gedanken versunken auf einer Brücke steht und das wenig spätere Fahren im Cabrio sind die symbolischen Begegnungen mit der Zeit.
Nicht das kleinste Detail überlässt Petzold dem Zufall.
Laura, Klavierstudentin an der UdK Berlin, begleitet ihren Freund Jakob eher unfreiwillig mit seinen Geschäftsfreunden, einem Pärchen, aufs Land.
Bereits auf der Fahrt ist Laura abwesend, während die Clique durch die Weite der Felder rast. In einer ersten Begegnung rauschen sie an Betty vorbei, die in der Toreinfahrt ihres Hauses steht. Die Blicke der beiden Frauen treffen sich zum ersten Mal.
Am Ziel angekommen geht es Laura nicht gut und sie möchte nach Hause. Warum erfahren wir nicht. Ihr Freund schlägt ihr kurzerhand vor, den Zug zu nehmen. Diese kaltschnäuzige Gleichgültigkeit auch hier eine Parallele, die Betty in ihrem Leben widerfährt.
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Ihr Freund fährt Laura also mit dem roten Cabrio seines Freundes zum nächsten Bahnhof. Diese Szene erinnert irgendwie an Godard. Das Auto überschlägt sich und Jakob stirbt sofort. Da der Unfall nur unweit von Bettys Haus passiert, und sie sofort zur Unfallstelle eilt, wird die kaum verletzte Laura in ihrem Haus versorgt.
Warum Laura bei Betty bleiben will, erfahren wir nicht. Es beginnt eine rätselhafte Anziehung zwischen den beiden, die vermuten lässt, dass Betty in Laura etwas wiederfindet, dass sie mit einer Erinnerung verknüpft.
Diese Symbiose zwischen Betty und Laura in diesem rustikalen, aber geschmackvoll eingerichteten Haus, offensichtlich das einer viel belesenen Kunstliebhaberin, eingebettet in die wilde, endlos karge Landschaft der Uckermark erzeugen eine magische Faszination zum endlosen Verweilen.
Laura bietet Betty an, mit ihr den Zaun zu streichen. Eine der schönsten Momente des Films ist, wenn Betty ihr darauf die Geschichte von Tom Sawyer erzählt. Andersartigkeit ist meist eine Tugend.
Ein Schritt des Neuanfangs, denn der strahlend weiße Zaun vor dem verwitterten Haus zeugt von Neubeginn und Selbstbestimmtheit.
Die Frauen verbringen ihre Zeit miteinander, als verbinde sie ein unsichtbares Band. Vielleicht ist Laura die Antwort zu Yelena.
Laura schlägt Betty vor, für sie zu kochen und plötzlich spricht Betty von ihren Männern, die sie einladen könne. Woher kennt Laura das Leibgericht ihrer Männer? Sind es alles Zufälle? Wo leben ihr Mann Richard (Matthias Brandt) und Sohn Max (Enno Trebs) ?
Diese unbeantworteten Fragen erzeugen diese anhaltende Spannung und den Effekt des Surrealen.
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Betty und Laura sind beiden Männern intellektuell überlegen, sind kultivierter, und dennoch werden sie despektierlich behandelt, teilweise mit verspielter Ironie, Spott oder als geistig krank.
Betty ist sich ihrer Macht dennoch bewusst. Sie seien halt Handwerker und wollten ständig irgendetwas reparieren, sagt sie zu Laura, als müsse sie sich für sie schämen. Petzold spielt im Film öfter mit Motiven der Psychoanalyse.
Richard und Max betreiben eine Autowerkstatt. Das gesamte Milieu mit seinen illegalen Geschäften liegt Klassen unter Betty.
Ihre Beziehung zu Laura liest sich auf einer Metaebene wie eine Spiegelung des eigenen Selbst.
In der Schlüsselszene des Films kommen Richard und Max zum Abendessen, das Laura zubereitet hat. Es gibt etwas zu feiern, wie Betty vorher ankündigt.
Die Männer reagieren stutzig beim Anblick eines weiteren gedeckten Platzes. Sie halten Betty für verrückt.
Es entsteht ein urkomischer Moment im Film, der hervorragend funktioniert und Betty beweist, dass die Hölle immer die anderen sind. Hier wird klar, wer fortan die Führung über ihr Leben zurückgewinnt.
Paula Beer spielt grandios diese lebenshungrige Unschuld von Laura mit ihrem eigenwilligen Anspruch auf Freiheit, während Barbara Auer sie in der Figur von Betty mit der weiblichen Größe weiser Sanftmut auffängt. Matthias Brandt spielt diesen schnoddrig spröden Handwerker wie er im Buche steht. Unbedingt erwähnenswert die darstellerische Leistung von Enno Trebs in der Rolle des Max. Diese Mischung aus proletarischer Einfachheit und tiefsinnigem Durchblick führen zu einigen humorigen Momenten.
Petzolds surreale Reise, um nicht zu viel zu verraten, bleibt sich bis zum Ende treu und verdient eindeutig das Prädikat wertvoll. Gerade aus feministischer Sicht. Stella Christine Dunze