Eva Libertad
Ein Interview mit der Regisseurin über ihren Film SORDA- Der Klang der Welt, der seit dem 30. Oktober deutschlandweit in den Kinos läuft.
„Ich wollte eine starke Frau. die sinnlich ist und nicht das Objekt der Begierde.”
FAMOS: Hallo Eva, dein Film SORDA- Der Klang der Welt ist nicht nur ein Film über das Leben eine Gehörlosen in einer Welt voller Lärm und lauter Menschen, in der sie sich ausgegrenzt fühlt. Es ist insbesondere ein Film über die Weiblichkeit und den einzigartigen Prozess des Schaffens von neuem Leben. Du dringst sehr tief in die weibliche Psyche hinein, aber auch weibliche Körperlichkeit in ihrer sinnlichsten Form. Siehst du das auch so?
Eva Libertad: Als ich anfing, das Drehbuch zu schreiben, war meine größte Sorge, dass ich keine Figur schaffe, die nur über ihre Taubheit definiert wird. Eine Figur, die auch ganz andere Facetten hat, wie zum Beispiel bei ihrer Arbeit oder mit ihrem Lebenspartner, wenn sie mit ihren Eltern zusammen ist. Sie hat verschiedene Funktionen. Es ging darum, das zu zeigen. Ihr Charakter ist vielschichtig und es gibt ganz viele Punkte in ihrem Leben, die sie auch definieren.
FAMOS: Warum heißt der Film „Sorda” und dann: Klang der Welt?
Eva Libertad: Das hat der Verleih für Deutschland entschieden. Wir hatten gestern eine spannende Diskussion, als wir in Hamburg waren. Es fragte jemand, ein Hörender, warum der Film SORDA heißt. Es klingt ja fast ein wenig gewalttätig und ein bisschen diskriminierend. Und es gab eine sehr interessante Diskussion, bei der Gehörlose sagten, sie finden den Titel SORDA, übersetzt "taub", gar nicht schlimm.
FAMOS: Wir als Zuschauer*innen begleiten Angelas Schwangerschaft und auch den Prozess der Geburt sehr intensiv. Das ist ja auch eine Hommage an das Wunder von weiblicher Körperlichkeit. Danach entsteht ein Konflikt aus Zweifeln und die Angst, das Baby könnte eventuell gehörlos werden. Ist die Geschichte an die biografische Geschichte deiner Schwester, Miriam Garlo, angelehnt (Anm. Miriam Garlo spielt die Protagonistin Angela) oder wie kamt ihr auf die Idee?
Eva Libertad: Nein, der Film ist nicht biografisch, er hat nichts mit Miriam zu tun. Das einzige Gemeinsame ist, dass Miriam auch taub ist. Aber es ist eine andere Form, ein anderes Niveau. Darum mussten wir ihre Stimme für den Film neu kreieren.
Sie haben beide unterschiedliche Geschichten. Um mich zu informieren, habe ich mit vielen gehörlosen Müttern gesprochen, die schwanger waren. Das gab mir die Möglichkeit, die Figur von Angela zu schaffen.
FAMOS: Ich fand, der Film hatte etwas sehr Sinnliches. Das war die Komposition der Bilder, wie die Figur angelegt war. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Geräusche eher eine Störung für Angelas innere Harmonie waren. Wolltest du das ausdrücken?
Eva Libertad: Diese Wahrnehmung gefällt mir sehr gut. Ich wollte genau so eine Figur schaffen. Zum Beispiel in der Natur hat Angela keine Defizite mehr. Sie geht darin als Wesen auf.
Es war mir auch wichtig, dass sie eine sinnliche Beziehung zu Hektor hat. Das heißt, man spürt die Berührungen und das ist eine ganz andere Ebene als die Gebärdensprache.
Wichtig ist auch, ganz unabhängig wie die Gesellschaft sie klassifiziert, dass sie die Herrschaft über ihren Körper hat. Sie bestimmt das Bild ihres Körpers.
FAMOS: Ich fand interessant, dass die stereotypen Rollenbilder vertauscht wurden. Die Frage ist, ob das auf die Gehörlosigkeit allein zurückzuführen ist, dass sie so frustriert ist und sich
depressiv fühlt. Das ist ja eine typische postnatale Depression. Im Grunde macht Hektor ja alles richtig.
Eva Libertad: Ich wollte gar keine Stereotypen verändern. Ich wollte eine starke Frau, die die Stärke und Kraft hat, mal launisch zu sein oder Depressionen zu haben. Eine Frau, die sinnlich ist und nicht das Objekt der Begierde, sondern das Subjekt der Begierde.
Auf der anderen Seite wollte ich eine männliche Figur schaffen, die auch fürsorglich ist, die eine emotionale Intelligenz hat. Eine etwas andere Figur, als es sie heute im Kino gibt. Aber ich sehe in meiner Umgebung, dass es diese Männer gibt.
FAMOS: Mit gefiel die Sequenz sehr gut, als Angela mit ihren Freunden in einen Club geht. Es war sicherlich beabsichtigt, dass sie in einem rot erleuchteten Raum sehr sinnlich tanzt. Man hat nicht mehr das Gefühl, dass sie taub ist.
Eva Libertad: Das haben wir , die Bildgestalterin Gina und ich, ausgehandelt. Ich wollte eine Szene haben, in der diese Community der Gehörlosen etwas zusammen unternimmt. Sie lieben tanzen und das oft direkt neben den Lautsprechern,weil die Vibrationen besser zu spüren sind.
FAMOS: Es gibt eine Szene, in der Angela, weil sie sich unwohl unter ihren Freunden fühlt, ihre Hörgeräte anzieht, um sie besser zu verstehen. Warum trägt sie diese Geräte nicht immer?
Eva Libertad: Das ist teilweise sehr schmerzhaft. Wenn Hektor zum Beispiel auf den Tisch haut, ist das in ihrem Ohr eine Explosion. Es gibt natürlich Fälle, in denen Gehörlose
mit Hörgeräten viel besser hören können. Aber in vielen Fällen ist es anders. Meine Schwester hat diese Geräte zehn Jahre lang getragen und hat ihren Charakter dadurch sogar verändert. Sie war nie glücklich damit und hat es dann gelassen.
Warum müssen die Gehörlosen eigentlich so einen wahnsinnigen Aufwand machen, um integriert zu werden und die Hörenden machen eigentlich gar nichts?
FAMOS: Kann man diese Taubheit im Film auch als eine Metapher der Flucht lesen?
Eva Libertad: Ja, das kann man.
FAMOS: Der Film zeigt ja das Vorbild einer modernen Vaterrolle. Aber genau das stört Angela. Hast du diesen Widerspruch bewusst gewählt?
Eva Libertad: Für Angela ist es die größte Angst, keinen Kontakt zu ihrem Kind zu kriegen. Je mehr sich das verstärkt, desto mehr steigt Hektor ein, der das alles kann. Er kann sich auch mit den Eltern im Kindergarten unterhalten.
Und für sie wird der Raum dadurch immer kleiner. Vielleicht würde eine ruhigere Person damit anders umgehen. Aber sie fühlt sich unter Druck und sie ist in einer Krise.
Sie spürt diese Aussichtslosigkeit und dadurch flüchtet sie. Obwohl sie beide so liebt. Und das ist ein Punkt, den ich am Anfang schon sagte: Angela definiert sich nicht nur über ihre Taubheit. Sie ist ein Charakter. Mir haben jetzt auch viele Mütter geschrieben, die in keinster Weise gehörlos sind, dass sie sich sehr mit Angelas Charakter identifizieren.
FAMOS: Am Ende flieht Angela zu ihren Freunden an den Strand nach einem Streit mit Hektor. Am Ende sitzt sie dann mit Ona und ihrem Hund auf der Wiese im Garten. Wie erklärst du dieses Ende?
Eva Libertad: Als Angela aus dem Haus rennt, flüchtet sie vor einer Situation, die in dem Moment stärker ist als sie. Und als sie da mit ihren Freunden sitzt, wird ihr klar, dass es auch keine Lösung ist und Hektor und Ona Teil ihres Lebens sind. Sie realisiert, dass ihr Leben aus verschiedenen Segmenten besteht. Dieser auslösende Moment ist sicherlich die Szene nachts am Strand, wie sie sieht wie die beiden gehörlosen Mütter diesen Jungen nehmen, der sich ja immer gegen diese Gehörlosigkeit wehrt und an seinem Handy ist. Als sie
diesen Jungen schlafend wegtragen wird Angela klar, dass eine Mutter immer eine Mutter bleibt, und sie nichts verlieren kann. Das ist ein Bild, das ihr die Ruhe schafft, wieder nach Hause zu gehen.
FAMOS: Gibt es schon ein nächstes Projekt?
Eva Libertad: Ich habe angefangen, etwas zu dokumentieren. Aber es ist noch zu klein, um darüber zu sprechen. SORDA nimmt immer noch den größten Teil meiner Energie in Anspruch.
FAMOS: Vielen Dank für das Gespräch. Es hat mich sehr gefreut.
Das Gespräch führte Stella Christine Dunze. Einen herzlichen Dank an Wolfgang Hamdorf für die Übersetzung aus dem Spanischen.